Autismus – unsichtbare Barrieren und viel Unsicherheit

01.04.2022 11:52

Welt-Autismus-Tag

Tagesstätte für Menschen mit Autismus

Ein Beitrag der Bezirksgemeinschaft Pustertal zum Welt-Autismus-Tag am 2. April

Der 2. April ist Welt-Autismus-Tag. Die Bezirksgemeinschaft Pustertal ist erster Ansprechpartner für Menschen mit Beeinträchtigung im Pustertal und kümmerst sich somit auch um Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung. Bereits seit 1992 führt der Verein Lebenshilfe – Onlus im Auftrag der Bezirksgemeinschaft Pustertal die Tagesstätte für Menschen mit Autismus in Bruneck und kümmert sich dort um zwölf Betroffene. Die BZG nutzt den Anlass, um mit der der Leiterin der Tagesstätte, Hildegard Kaiser, zu sprechen:

Heute ist das Wort Autismus zwar für die meisten kein Fremdwort mehr, dennoch gibt es viele, dich sich unter dem Begriff nicht wirklich konkret etwas vorstellen können. Frau Kaiser, wie würden Sie Autismus sehr kurz und einfach beschreiben?
Kaiser: Das ist schwierig, weil jeder Mensch mit Autismus auf seine ganz individuelle Art und Weise anders ist, weil sich Symptome bei jedem verschieden ausgeprägt zeigen. Die meisten Menschen assoziieren mit dem Begriff Autismus einen vielleicht etwas komisch wirkenden Menschen mit einer Inselbegabung. Autismus ist aber ein Sammelbegriff für viele verschiedene tiefgreifende Entwicklungsstörungen (Autismus-Spektrum-Störungen, ASS). Das größte Problem, das die meisten Betroffenen haben, ist der Umgang mit sozialen Kontakten. Das beginnt bei der kleinsten Alltagsaufgabe „wie spreche ich mit der Verkäuferin beim Bäcker?“ und reicht hin bis zu „wie gehe ich mit Freunden, mit Familie um“. Die meisten haben auch Schwierigkeiten in der Kommunikation und Sprache.
       
Wo gibt es bzw. was sind die größten Schwierigkeiten für Menschen mit Autismus in unserer Gesellschaft?
Kaiser: Es gibt für Menschen mit Autismus eine Vielzahl an Stolpersteinen und Barrieren im Alltag, welche für gesunde Menschen nicht einmal wahrnehmbar sind. So kann ein Fußboden mit einem auffälligen Muster manche schon so stören, dass es ihnen unmöglich ist, sich auf etwas anderes zu konzentrieren oder auf eine Frage zu antworten. Die Verspätung des Busses kann Betroffene total aus dem Konzept bringen und zu maximaler Überforderung führen.
Das größte Defizit haben Menschen mit Autismus meistens im Freizeitbereich, weil die Überlegung „was mach ich gerne“ bzw. „wie könnte ich mich beschäftigen“ sehr schwer fällt.

Wie ist das Arbeiten mit Menschen mit Autismus? Was machen Sie in der Tagesstätte?
Kaiser: Die Arbeit mit unseren Klientinnen und Klienten ist sehr individuell auf jede/n einzelne/n abgestimmt. Es geht um Alltagsgestaltung, Beschäftigung und lebenspraktische Sachen. So reichen die Tätigkeiten beispielsweise von Einkaufen und Kochen über Körperhygiene bis hin zu Spielen und schulischen Aufgaben.

Wo gibt es Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen mit Autismus?
Kaiser: Soziale Regeln und der Umgang mit anderen überfordern Menschen mit Autismus meist sehr. Es ist sehr wichtig, im Umgang mit Betroffenen eine klare Sprache zu finden. Man muss aufpassen, wie und was man sagt. Sie tun sich schwer Emotionen zu verstehen und auch zu zeigen, sie können an der Mimik der Mitmenschen nichts ablesen. So versteht ein Mensch mit ASS zum Beispiel auch keine Ironie. Trotzdem sind es Menschen, die sehr feinfühlig sind und die eine ehrliche Beziehung brauchen, eine Beziehung die an ihnen als Menschen interessiert ist.

 Wie kann die Gesellschaft helfen, was kann jeder einzelne tun?
Kaiser: Der Gesellschaft fehlt größtenteils das Verständnis. Menschen sind unsicher und haben oft auch Angst. Autisten haben ein individuell unterschiedlich ausgeprägtes Bedürfnis nach Körperkontakt. Einerseits nehmen manche mit fremden Menschen direkten und teils sozial unangemessenen Kontakt auf, andererseits meiden viele aber auch Körper- und Blickkontakt. Wenn wir mit unserer Gruppe in der Öffentlichkeit unterwegs sind, dann spüren wir oft Überforderung der Mitmenschen.
Die Gesellschaft muss wissen, was Autismus ist und sich darauf einlassen. Es braucht einfach mehr Verständnis.

Was kann die Politik, das öffentliche System tun? Wo gibt es Aufholbedarf?
Kaiser: Ein wichtiger Schritt ist die Realisierung von Wohngemeinschaften für Betroffene, wie das Wohnhaus, welches von der Bezirksgemeinschaft Pustertal heuer im Josefsheim eröffnet werden wird. Ganz wichtig wäre zudem, Betroffene bereits sehr früh in Strukturen unterzubringen. So bräuchte es zum Beispiel dringend Nachmittagsangebote für junge Menschen mit Autismus. Auf der einen Seite wäre das eine notwendige Entlastung für die Eltern, auf der anderen Seite eine wichtige Stütze für die Betroffenen selbst, um die besten Voraussetzungen für eine gute Entwicklung zu schaffen und eine gewisse Kontinuität zu haben, welche für Betroffene besonders wichtig ist.
Das bestehende Angebot von Strukturen ist zum größten Teil bereits ausgelastet, so haben junge Betroffene keine Chance, frühzeitig einen Platz zu bekommen. Das ist ein großes Problem und hier ist die Politik gefordert.

Weitere Informationen erhalten Sie in der Direktion der Sozialdienste unter + 39 0474412920 oder direktion.sozialdienste@bzgpust.it.


01.04.2022

DEU